Musikalische Seniorenbildung,

für mehr Lebensqualität im Alter

 

Sicher fährt einigen, mit der Vorstellung sich in einer späteren Lebensphase mit Musik zu beschäftigen und das Klavierspiel zu erlernen, gleich der alte Ruf durch den Kopf: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr!“ und kommt voreilig zu dem Endschluss, dass für mich der Zug schon längst abgefahren ist. Ich muss mit großem Bedauern feststellen, dass diese Binsenweisheit leider tief in unserer Bildungkultur verwachsen ist. Genaugenommen aber handelt es sich nur um ein Missverständnis, welches über mehrere Generationen falsch überliefert wurde. Denn Hans lernt nicht schlechter als Hänschen, sondern nur anders und vor allen Dingen hat Hänschen Zeit, viel Zeit; nicht nur mehr Lebenszeit, sondern eben mehr Tageszeit, die er nicht mit Arbeiten vergeuden muss um sein Lebensunterhalt zu bestreiten; denn das machen ja die Eltern, die also viel weniger Zeit haben. Demnach lernt Hans nimmer mehr, weil er geistig wie körperlich unfähig dazu geworden ist, sondern weil ihm einfach der zeitliche Überfluss fehlt. Und die wenige Zeit die noch übrig bleibt, also die Freizeit, dient allenfalls noch dem Müsiggang, statt der kreativen Muse selbst. So ist es erst wieder die späte Lebensphase, die einem wieder zeitlichen Überfluss beschert, die dann mit hoher Notwendigkeit, sinnvoll und der Person angemessen, genutzt werden sollte. Denn produktive bzw. kreative Menschen sind nachweislich glücklicher und wer glücklich ist hat ein (zumindest gefühlt) längeres Leben.

Ein weiterer nicht unerheblicher Zweifel begründet sich ebenfalls auf einer falschen Tatsache: Zu oft wird artistisches, instrumentaltechnisches Virtuosentum mit musikalischer Arbeit verwechselt oder gleichgesetzt. Sicher, man bildet im Alter keinen Virtuosen mehr aus, so, wie man eben aus einem Senior keinen Hochleistungssportler mehr macht. Es wäre aber absurd, daraufhin zu behaupten, dass jede Art von sportlicher Tätigkeit für jenen Menschen ausgeschlossen und zwecklos sei. So wie Sport also der persönlichen Gesundheit bzw. Fitness dient, dient die Instrumentaltechnik der Musik; richtet sich also nach deren praktischen Gebrauch. In diesem Sinne wäre falsche Ehrfurcht für jeden kreativen Drang hinderlich; es braucht also keiner, bei dem Gedanken Klavier zu spielen, nervös zu werden. Wer Wohlgefallen an Klängen, Rhythmen und Melodien hat und sich selber dieser schönen Arbeit widmen möchte, also Klavier spielen möchte, der soll es einfach tun, so lange er noch kann!

 

DR 2013