Warum ich "Individualität" für überbewertet halte . . .

 

„Für Sie ganz individuell!“

Eine derzeit oft gelesene Äußerung in Werbetexten.
Was ist damit konkret gemeint?
Gibt es einen pädagogischen Gehalt oder nur Floskel?

In Zeiten des Individualismus’ ist es in der Industrie, vor allem in der Modeindustrie gut zu beobachten, dass sich die vermeintliche „Individualität“ als ein Marketingkonzept etabliert hat:
Typisch ist es, dem Individuum, für seine scheinbar „individuellen Bedürfnisse“, eine übergroße Auswahl an Produkten anzubieten, welche alle nach Trends ausgerichtet sind, ja sogar die Trendforschung nach einer großen Entwicklung sucht, um aus ihrem Geschäft den größten Gewinn zu erzielen. Die Individualität wird hiermit instrumentalisiert und schafft paradoxerweise Konformität: Eine massenhafte Ausrichtung ungeachtet des Individuums. Eine antikulturelle Entwicklung aus den Folgen des Kommerz’.

Aber der Pädagoge verkauft kein Produkt, er ist nicht nur ein bloßer Dienstleister: Er bildet, gestaltet, formt den Menschen, schafft Kompetenzen und bewahrt die Tradition! Er hat die Aufgabe sich von den kurzweiligen,  inhaltslosen Modetrends (den sog. Mainstream) unabhängig zu halten! Dies ist sicherlich das idealisierte Bild eines Lehrers, aber immerhin wert es zu erwähnen; für mich eine Maxime. Die Bildung bzw. Pädagogik ist somit neben der Religion eine Instanz, die gesellschaftlich-kulturelle Werte vermittelt und als Grundstein für unser zivilisiertes Menschsein dient. Leider ist oft zu beobachten, dass sich der Geist der profitorientierten Wirtschaft zu sehr mit dem ethischen Geist von Bildung und Kultur von außen verbünden. Der Verlust von Qualität, Neutralität, Authentizität und alten Werten ist damit oft einhergehend. Was dann vonnöten ist: Die Besinnung auf die Sache an- und für sich.
Kommt man nun auf die mehr oder weniger schicke Floskel
„Für Sie ganz individuell“ zurück und setzt zum Zwecke der Betrachtung dem „Individuellen Unterricht“ einen  „Nicht-individuellen Unterricht“ entgegen, ergibt sich im Ausgangspunkt kein Unterschied:

Ein Unterricht in der Zweierkonstellation zwischen Lehrer und Schüler, interagierend, vom Individuum zum Individuum, im Gegensatz zum frontalen Klassenunterricht, ist individuell an sich.

Für sich jedoch bestimmt nicht nur der Lehrer den individuellen Unterricht, sondern auch der Schüler. Denn, je stärker die Interaktion von beiden Seiten, umso individueller ist auch der Schaffensprozess. Die Kritikfähigkeit und Eigeninitiative des Schülers sind somit Grundvoraussetzung für einen individuellen Unterricht.
Die Ästhetik eines einzelnen Werkes oder einer gesamten Kunstform, die große Vielfalt musikalischer Stile und die sich daraus ergebenden Techniken stehen als übergeordnetes Ideal.

Das Individuum selbst kann demnach nur mit einer gewissen Demut als emotionale Haltung zur Kunst, entsprechend der Vernunft und Objektivität, die Kunst sich zu Eigen machen.    

 

David Rosenzweig 2011